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Secco-Malerei "Die 15 Zeichen vor dem Jüngsten Gericht"

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Seltene Secco-Malerei in der Spitalkirche

Vilsbiburg. Vor der letzten Jahrtausendwende wusste noch kein Lebender von ihrer Existenz. Erst im Jahr 2000 wurde bei Instandsetzungsarbeiten in der gotischen Kapelle neben dem Stadtturm eine rätselhafte Wandmalerei entdeckt. Unter dem Schweißtuch der Veronika reiht sich ein Zyklus von 15 Bildern auf, der manche Betrachter an die Vorlage für eine Moritat, andere an einen Comic denken ließ. Mehrere Kunstprofessoren aus bayerischen Universitäten zuckten auf Fragen nach den Bildinhalten nur mit den Schultern.

Nur eines war sofort klar: Es handelt sich um eine Secco-Malerei. Diese Technik unterscheidet sich grundsätzlich von einem Fresko, das der Künstler auf den noch frischen, feuchten Kalkputz aufträgt. Übersetzt man den italienischen Ausdruck „al secco“ in „aufs Trockene“, ist eigentlich schon alles über die Machart gesagt. Die wohl berühmteste Secco-Malerei ist das im späten 15. Jahrhundert von Leonardo da Vinci in der Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand geschaffene „Abendmahl“. Die vornehmlich in der Romanik verwendete Secco-Technik verbindet die Farben nicht sehr intensiv mit dem Untergrund. So ist die Darstellung gegen den Zahn der Zeit eher unzureichend gewappnet. Da geht es da Vincis Meisterwerk nicht besser, als den von einem ebenso unbekannten wie nur durchschnittlich begabten Künstler geschaffenen „15 Vorzeichen“ in der Spitalkirche.

Entschlüsselung des Programms

Doch dann kam der aus Neumarkt-St. Veit stammende, damalige Kustos des Stiftes Göttweig in Niederösterreich, Pater Gregor Martin Lechner. Für ihn war sofort klar, hier in Vilsbiburg eine weitere der seltenen Darstellungen des „geistlichen Advent und der Wiederkunft des Herren“ gefunden zu haben. Bei einem Museumsabend vor drei Jahren erläuterte der Benediktiner den Zyklus in allen Einzelheiten. Doch damit noch nicht genug: Erst vor wenigen Wochen stelle er ihn in den Mittelpunkt eines wissenschaftlichen Aufsatzes in der in Regensburg erscheinenden Fachzeitschrift für christliche Kunst „das münster“. Lechner geht dabei zunächst auf die biblischen Grundlagen ein, die sich u. a. beim Evangelisten Lukas (21,25) finden, welcher fünf Vorzeichen zum Gericht auflistet: Hinweise an Sonne, Mond und Sternen sind hier genannt. Auf Erden „wird den Menschen bange sein von der Verstörung des Meers und dem Brausen der Wasserwogen.“ Am ausführlichsten jedoch zitiert der aus dem heutigen Kroatien stammende Kirchenvater St. Hieronymus um das Jahr 400 n. Chr. die „15 Vorzeichen“, wobei die Abfolge „Erster bis 15. Tag“ keine strenge zeitliche Definition darstellt:

Die 15 Bildsequenzen

Der Inhalt der Wandmalerei bringt zum Ausdruck, wie den Menschen des ausgehenden Mittelalters, die zum größten Teil des Lesens und Schreibens unkundig waren, die Ankündigung des Weltgerichts visuell näher gebrachte wurde: Am ersten Tag hebt sich das Meer über alle Berge und bildet eine Art Mauer. Am zweiten Tag schwindet was Meer. Am dritten Tag erscheinen die Meerungeheuer mit lautem Brüllen. Am vierten Tag verbrennen das Meer und jegliches Wasser. Am fünften Tag träufeln die Bäume und Kräuter blutfarbigen Tau und alle Vögel versammeln sich auf dem Boden. Am sechsten Tag zerstören feurige Blitze die Städte. Am siebten Tag herrscht durch das Aneinanderschlagen von Felsen lautes Getöse. Am achten Tag erhebt sich ein großes Erdbeben, das Mensch und Tier niederwirft. Der neunte Tag ebnet alle Berge und Hügel ein. Am zehnten Tag kommen die Menschen aus den Erdhöhlen, in die sich geflüchtet haben und sind wie von Sinnen. Am elften Tag stehen die Gebeine der Toten aus ihren Gräbern auf. Der zwölfte Tag sieht alle Gestirne und Planeten vom Himmel fallen. Am 13. Tag sterben sämtliche Lebenden, damit sie mit den Toten auferstehen können. Am 14. Tag verbrennen Himmel und Erde, während am 15. Tag Christus als der Weltenrichter erscheint, vor den alle Auferstanden treten müssen.

Besonderheiten des Vilsbiburger Zyklus

Man darf davon ausgehen, dass die heutige Spitalkirche um 1400 als Katharinenkapelle entstanden ist. Der große Brand von 1366 lag noch nicht lange zurück. Sollte damals auch die Pfarrkirche zerstört worden sein, besaßen die Vilsbiburger im befestigten Bereich keinen Andachtsort mehr. Gregor Martin Lechner vergleicht die hiesige Seccomalerei mit verwandten Darstellungen in Terlan, Tramin und Gufidaun in Südtirol, Schleching und Schrobenhausen in Oberbayern sowie Oberwesel am Rhein. Dabei stellt er fest, dass die Darstellung „15 Vorzeichen“ in Hospizen, Siechenhäusern und Spitälern durchaus nicht ungewöhnlich sei. Zur Spitalkirche wurde das Gotteshaus allerdings erst nach der umfangreichen Neu- und Umbaumaßnahme des Caspar Westendorfer in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Lechner lobt die relativ gute Erhaltung der Wandmalerei. Man kann die Bildinhalte deutlich erkennen. Daher sei genau zu analysieren, wie „sklavisch“ sich der anonyme Künstler an Holzschnittvorlagen gehalten hat. Der Wissenschaftler zitiert ein so genantes Blockbuch mit kolorierten Holzschnitten der „15 Vorzeichen“ aus der Zeit um 1456/67 und eine weitere Vorlage aus den Jahren 1481/82. „Man ist geradezu zu der Annahme verleitet, ein solches Blockbuch hätte als Vorlage auf dem Malergerüst gelegen“, schreibt der Lechner weiter. Betrachtet man die in der Zeitschrift abgebildeten Holzschnitte, fällt in der Tat eine frappierende Ähnlichkeit mit Motiven in der Spitalkirche auf. Als weitere Besonderheit des Vilsbiburger Gemäldes wertet es der Autor, dass bis auf das Gerichtsfeld sämtliche Stationen eine zeitliche Chronologie in der Gestalt von Sonne und wechselnd dargestelltem Mond beinhalten, was ebenfalls auf eine Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schließen lasse. Eine ganzseitige Bildtafel zeigt den Lesern der Fachzeitschrift den Zyklus aus der Spitalkirche in allen Einzelheiten.

Mit dieser Secco-Malerei besitzt die Stadt seit wenigen Jahren eine hochrangige Sehenswürdigkeit, die nicht nur viele auswärtige Gäste anlocken wird, sondern auch wichtige Rückschlüsse auf die Baugeschichte von Spital und Spitalkirche zulässt.

Peter Barteit


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