Staunen über Vilsbiburger Gastronomie

Hunderte genossen die Stadtrundgänge zu den historischen Orten des Genusses.
Eine Gruppe am Tag des offenen Denkmals vor einem historischen Gebäude am Stadtplatz. Schon 1751 gab es hier die Gastwirtschaft Wurze. Im Jahr 1874 wird ein Martin Schmeisser als Besitzer einer Tafernwirtschaft genannt. Die beliebte Weinstube wurde 1950 geschlossen.  
 

Als Ort des Genusses hat der Sattler Michael Dauer die Situation an seiner Hauswand in der Judengasse, dem heutigen Löchl, ganz offensichtlich nicht empfunden.  Sechs Meter lang und knapp zwei Meter breit türmte sich ein Misthaufen bis unter die Fenster seiner Wohnung auf, weshalb es in den Räumen fürchterlich stank. So zog Daller im Jahr 1646 gegen seinen Nachbarn, den Bierbrauer Michael Döbl vor Gericht. Dieses ordnete einen Ortstermin an, bei dem der Beklagte auf ein seit hundert Jahren verbrieftes Recht verwies, an dieser Stelle den Dung aus seinen Ställen zu lagern. Außerdem sei in der Gasse wegen der Braustädel der Vilsbiburger Biersieder kein anderer Platz. Das Gericht entschied salomonisch: Döbl solle den Mist nicht so hoch aufhäufen, sondern öfters abfahren und ihn in der Zwischenzeit abdecken.

 

Dieser mehr als 360 Jahre zurückliegende Rechtsstreit, zu dem es einen sehr anschaulich gezeichneten Lageplan mit dem „corpus delicti" im Mittelpunkt gibt, vermittelte am Tag des offenen Denkmals einen von vielen spannenden Einblicken in das Leben im alten Vilsbiburg. Fast 400 Interessierte hatten sich zu den sechs Stadführungen eingefunden, die von Lambert Grasmann, Peter Käser und Peter Barteit durchgeführt wurden. Dabei war das Erstaunen groß über das enorme gastronomische Angebot einer Stadt, die von den Landshuter Herzögen planmäßig ‚ als Durchgangsstation auf dem Weg nach Burghausen gegründet wurde.

 

16 Bierbrauer in Visbiburg

Da wurde von Ställen für die Pferde berichtet und von Übernachtungsmöglichkeiten für die Reisenden. Wobei die Fuhrleute, was Hunger und Durst anbelangt, ihren Zugtieren in nichts nachstehen wollten. Aber auch die Vilsbiburger Bürgerschaft wusste den Gerstensaft sehr wohl zu schätzen und konnte ihre Gemütlichkeit schnell verlieren, wenn sie nicht mit genügend Bier versorgt wurde.

 

Das war beispielsweise im Oktober 1723 der Fall und laut Ratproto­koll gingen die Bierbrauer wegendieses Vergehens in Arrest. Dieser Lieferengpass verwundert ein wenig, gab es doch zu dieser Zeit noch mindestens zwölf Brauer am Ort; 100 Jahre vorher waren es gar 16 gewesen. Allerdings besaßen nur fünf von ihnen ein eigenes Brauhaus, neun Biersieder nutzten jeweils zu dritt einen Braustadel und weitere zwei betrieben zusammen eine „Kommunbrauerei".

 

Dieses gemeinschaftliche Biersieden wurde von Herzog Wilhelm von Bayern im Jahr 1513 eingeführt. Bis dahin hatte es nur einen Bierbrauer in Vilsbiburg gegeben. Das war der Verwalter in der herzoglichen Taverne im Unteren Vormarkt, dem heutigen Gasthof Schöx. Als der Herzog auf Bitten von Bürgermeister und Rat allen Bürgern von Vilsbiburg das Bierbrauen erlaubte, schränkte er, wohl wegen der Brandgefahr gleichzeitig ein, dass nur Braustadel nahe der Vils benutzt werden dürfen.

 

Auch sonst erfuhren die Teilnehmer der Stadtrundgänge viele unbekannte Details über die Orte des Genusses im alten Vilsbiburg. Dass beispielsweise im Anwesen Hammer am Stadtplatz in den 1890er-Jahren eine Weißbierbrauerei Zach ansässig war,verwunderte ebenso wie die Existenz des Federbräu um 1860 im Hause Mertel oder der Winklerbräu in der heutigen Sparkasse. „Jagab es denn früher in Vilsbiburg in jedem zweiten Haus eine Brauerei oder Gastwirtschaft?“, fragten die Teilnehmer ganz erstaunt. Die Experten des Heimatvereins konnten diese Frage nur bejahen.

 

Der „Blutsturz" des Bankiers

Geschichte und Geschichten lau­fen gerade im Bereich der Gastrono­mie immer wieder stark ineinander. So informierte man bei den Führun­gen von den Alten Bieren ebenso wie vom winterlichen Eisen auf der Vils. Auch wurden die Anekdoten rund um die Huber Hanna vom Bräu und eine aufschlussreiche Schilderung der Maria Außermeier nicht verschwiegen. Letztere hatte zu Lebzeiten erzählt, dass um 1900 in ihremElternhaus beim Schmiedwirt am Oberen Vormarkt die durchreisenden Handwerksburschen nur nackt ins Bett schlüpfen durften. Anlass für diese Maßnahme waren nicht etwa besonders lockere Sitten in der Tafernwirtschaft, sondern die verlauste und verwanzte Kleidung der Gäste.

 

Und gleich neben dem Schmied­wirt befand sich das Cafe Vogt (heu­te Konrad). Hier feierte man an Sil­vester 1909 fröhlich den Jahres­wechsel. Mit dabei auch Sanitätsrat Dr. Kastl und Bankier Xaver Hardt, dem an diesem Abend besonders der Rotwein mundete. Spät in der Nacht läutete dessen Haushälterin bei dem Arzt und berichtete schreckensbleich, ihr Chef habe einen Blutsturz erlitten. Mit wehenden Rockschößen eilte der Doktor in das Haus am Marktplatz 1. Dort fand er den Pati­enten aber keineswegs mit dem Tode ringend vor. Vielmehr hatte sich nur der überflüssige Rebensaft ein na­türliches Ventil gesucht.

 

Die vom Lehrer Richard Hagn in Versform überlieferte Begebenheit zeigt: Auch wenn besonders in der Gastronomie der Wandel das einzig Beständige ist, bleiben gewisse Abläufe doch über die Jahrhunderte hinweg immer gleich.

 

Peter Barteit

aus der Vilsbiburger Zeitung vom 17. September 2009