Und immer wieder der Schlamassel

Und immer wieder der Schlamassel
Die bewegte Geschichte der Kammgarnspinnerei Seiler

Vilsbiburg. ?Wir spinnen eigentlich einen ganz guten Faden.? Diesen Satz beim 50-jährigen Jubiläum seines Unternehmens im November 1954 vor zahlreichen Ehrengästen auszusprechen war für den Seniorchef Otto Seiler nur dann ohne Risiko, wenn er ihn ohne Pause vorgetragen hat. Und der Patriarch fügte noch etwas Brisantes hinzu: Es sei nun schon das dritte Mal, dass der Betrieb ?aus dem Schlamassel herausgebracht werden konnte?. Der Redner spielte damit auf die wechselvolle Historie der Kammgarnspinnerei an, die im Jahr 1904 sein Vater Robert mit einem Geschäftsfreund in Eger gegründet hatte. Bevor Seiler den Betrieb allein übernahm, seien in den ersten Jahren ?ungeheurere Schwierigkeiten? zu überwinden gewesen.
Als man einigermaßen Tritt gefasst hatte, kam der Weltkrieg I. und vernichtete einen Teil des bis dahin Geschaffenen. Mit einer neuen Kraftanstrengung starteten Robert Seiler und seine Söhnen Otto und Alfred in den 1920er Jahren das Unternehmen neu und führten es zu ungeahnter Blüte. Um 1930 waren in dem mehrmals erweiterten Fabrikgebäude etwa 500 Menschen beschäftigt. Dann fiel das Egerland einem Diktator in die Hände, der in dem Wahn lebte, der Lebensraum der Deutschen sei viel zu klein und so den Weltkrieg II. vom Zaun brach. Die Folgen waren noch verheerender als Jahre zuvor. Nachdem auch dieser Krieg verloren war, wurde der Betrieb geschlossen und die Familien Seiler aus der Heimat ausgewiesen. Auf verschlungenen Pfaden kamen sie nach Niederbayern und wagten dort einen dritten Anlauf. Am 21. August 1950 wurde an der heutigen Frontenhausener Straße mit dem Bau des damals größten Vilsbiburger Industriebetriebes begonnen.
Glänzend wurde das Unternehmen auch aus dem dritten Schlamassel herausgebracht. Jeweils zum Schichtwechsel beherrschte das Blau der Seiler-Kittelschürzen das Straßenbild. ?Saure Wochen, frohe Feste!? Getreu diesem Goethe-Wort wusste man nach harter Arbeit auch gut zu feiern. Legendär waren die Faschingsbälle (welcher Betrieb hat so etwas heute noch?) und die Betriebsausflüge mit Sonderzügen der Deutschen Bundesbahn. Doch Mitte der 1980er Jahre kündigte sich der vierte und finale Schlamassel an. Die globalisierte Weltwirtschaft machte besonders der Textilbranche schwer zu schaffen. Billigimporte aus Asien drückten auf Erlöse und Stimmung; der als Ausweg aus der Krise angepeilte Zusammenschluss mit der Ramie AG in Emmendingen erwies sich letztlich auch nicht als die erhoffte Rettung. Ein dürrer Eintrag am 15. Februar 1992 im Handelsregister markiert schließlich das Ende des einst so stolzen Unternehmens. Otto Seiler musste das nicht mehr miterleben.
Diese Firmengeschichte, die so typisch ist für den Aufstieg Vilsbiburgs zum Eldorado der Textilindustrie, wird in der Vilsbiburger Museumsschrift Nr. 12 ausführlich dokumentiert.
Erschienen am 28. Februar 2011 in der Vilsbiburger Zeitung.