Der Feind steckt in den Glasuren

Viele Krankenhausaufenthalte der Hafner ? Häufig Bleivergiftung als Ursache

 

Vilsbiburg. Der 30 jährige Hafner Peter Gilch aus der Gemeinde Binabiburg ist in keiner beneidenswerten Lage, als er am 5. März 1876 in das Bezirkskrankenhaus Vilsbiburg eingeliefert wird. Der Ordinationsbogen teilt uns mit, der Patient ist früher schon mehrmals wegen Bleikolik behandelt worden. Nun leidet er wieder an einer ?bedeutenden Schwäche, Reißen in den Gliedern, Zittern, Appetitlosigkeit und Schmerzen in der Magengegend?. Das Ziehen im Unterleib wird stärker und er verbringt schlaflose Nächte, begleitet von Fieberattacken. Nachdem sich sein Allgemeinbefinden jedoch einige Tage später gebessert hat, wird der Hafner am 7. März aus der Klinik entlassen.

 

Museumsleiter Lambert Grasmann hat für die aktuelle Sonderausstellung im Heimatmuseum und das Begleitbuch in der Reihe Vilsbiburger Museumsschriften nicht nur die Krankenakte des bedauernswerten Peter Gilch, sondern alle Ordinationsbögen des Vilsbiburger Krankenhauses aus den Jahren 1865 bis 1905 ausgewertet. In diesem Zeitraum werden nicht weniger als 381 Hafner, Hafnergesellen oder ?lehrlinge behandelt und in den meisten Fällen lautet die Diagnose Bleivergiftung, Bleikolik oder Bleilähmung. Nicht selten müssen dieselben Patienten mehrmals in stationäre Behandlung begeben. Und der Feind steckt immer in den bleihaltigen Glasuren. Warum sich die dadurch hergerufenen Beschwerden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehren, mag damit zusammenhängen, dass man in früheren Jahren die Ursache einfach nicht erkannt hat. Eine andere Hypothese macht die zu dieser Zeit in wachsendem Maße industriell hergestellten Rohstoff für Glasuren verantwortlich. Deren Korn soll gegenüber den in den alten Glasurmühlen selbst erzeugten Produkten um den Faktor 30 geringer gewesen sein. Dadurch soll sich der Grundstoff bedeutend schneller in Form von Staub verflüchtigt haben. Die fabrikmäßig erzeugte Bleiglätte hätte eine erheblich gründlichere Hygiene bei der Verarbeitung erfordert, wozu man den Werkstätten allerdings nicht bereit oder in der Lage war ? was auch der Kirchberger Pfarrer Bartholomäus Spirkner immer wieder lauthals beklagte.

 

Morphium und Rizinusöl

 

Wie dem auch sei: Man behandelt  vor rund 150 Jahren nur die Symptome der Bleivergiftung. Eine Therapie der Ursachen, nämlich das einmal aufgenommene Bleib wieder aktiv aus dem Körper auszuscheiden, ist praktisch unmöglich. Stattdessen versuchen die Ärzte zuallererst die schmerzhaften Koliken in den Griff zu bekommen. Dabei findet einerseits Opium oder das daraus gewonnene Morphium Anwendung. Diese starken Schmerzmittel wirken zudem krampflösend auf die Muskulatur des Magen-Darm-Traktes. Daneben setzt man starke Abführmittel ein, um die Verstopfungen durch das aufgenommene Blei zu beseitigen. Dabei werden Pflanzenextrakte oder auch Rizinusöl und Bittersalz verwendet. Diese Therapien und auch die bleifreie Umgebung im Krankenhaus führen meist zu einer Besserung des Allgemeinbefindens. Illusion ist jedoch, wenn die Krankenakten aussagen, der Patient sei ?geheilt? entlassen worden. Das Grundübel, nämlich die dauerhafte Bleiablagerung in den Knochen, ist nicht behoben und so der nächste Krankheitsschub bereits vorprogrammiert.

 

Auch die Obrigkeit reagiert auf die Häufung von Krankheitsfällen in Kreis der Hafner. Zahlreiche Visitationen müssen die Werkstätten über sich ergehen lassen und immer wieder droht ein Verkaufsverbot oder gar die Beschlagnahme der Ware. Im Jahr 1887 befasst sich sogar der Reichstag in Berlin mit der Problematik und erlässt das ?Gesetz, betreffend den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen?. Dieser Beschluss wird als einer von vielen Gründen für den Niedergang des Kröninger Hafnerhandwerks gesehen, der um das Jahr 1930 seinen traurigen Abschluss findet.

 

Das Bezirkskrankenhaus Vilsbiburg in der Oberen Stadt um das Jahr 1930. Hier werden zwischen 1865 und 1905 nicht weniger als 381 Hafner mit berufstypischen Beschwerden behandelt.
Sebastian Eder aus Jesendorf im Jahr 1914 in seiner Werkstatt. Immer wieder gibt es Klagen über die hygienischen Bedingungen rund um die Produktion der Ware. (Fotos: Archiv Heimatmuseum Vilsbiburg)