Der Indianer im Kapuzinerkloster

Ungewohntes durch US-Militärverwaltung ? Sonderausstellung im Museum endet

 

?Heute kam ein Soldat ins Haus. Er sieht aus wie der letzte Mohikaner aus dem Lederstrumpf: hochgewachsen, kupferfarben, scharfe Züge, vorspringende Nase und einen Mund, wie mit einem Beil hinein gehauen. Was ihm fehlt ist der Federbusch auf dem Kopf; dafür steckt er in einem Wildwestgewand". Der Auftritt des amerikanischen Kämpfers löst bei den sehr traditionell geprägten Kapuzinern auf dem Berg aus am 11. Mai 1945 einiges Erstaunen. Schon Tags zuvor hat Guardian Aurelian Kugler eher positive Eindrücke von den Kriegern aus aller Herren Länder, die da mit schier endlosen Panzerkolonnen über den Stadtplatz rollen: "Eine wahre Völkerschar zog vorbei. Wagen mit Negern. Sie guckten in die Luft, vergnügt wie Kinder, kauten ihren Gummi und kümmerten sich nicht viel um die Umgebung. Da wieder ein schlitzäugiger Chinese, mit einem maskenartigen Gesicht als Wagenführer. Dort hochgewachsene gelbe Mischlinge, dann kleine Gelbgesichter, die aussahen wie Japaner. Jetzt wieder intelligent blickende Europäer mit scharfen Zügen." So zitiert Lambert Grasmann den Pater vom Berg in dem reich bebilderten Buch zur Sonderausstellung ?Vilsbiburg 1948 ? 1968, schwierige Zeiten und Neubeginn?.

Am 1. Mai 1945 treffen sie zwischen 18 und 19 Uhr in Vilsbiburg ein. Es ist kalt und schneit auf die Panzer, die über gefrorenen Boden rollen. Abrückende deutsche Einheiten haben die Brücken in der Stadt, am Pfarrbrückenweg und auch die Übergang der Bahnstrecke gesprengt. Ob sie damit Hitlers letzten Befehl, alles zu zerstören, was einem künftigen Leben der deutschen Bevölkerung dienen könnte, gerecht werden oder den übermächtigen Feind aufhalten wollen, bleibt unklar. In jedem Fall war es Pfusch; denn die Stadt bleibt mit Ausnahme einiger durch die Brückensprengung in Mitleidenschaft gezogener Häuser rund um den Vilsübergang glücklicherweise unversehrt und die siegreichen Soldaten fragen schon nach einer Stunde im Stadtteil südlich der Vils nach Waffen. Damit beginnt die Zeit der Besatzung und der Militärregierung.

 

Bayern wird amerikanisch

 

Im Juli 1945 wird das Deutschland westlich von Oder und Neiße unter den alliierten Siegermächten in vier Zonen aufgeteilt. Der Einflussbereich der USA umfasst neben Bayern, Hessen und Bremen den nördlichen Teil des heutigen Baden-Württemberg und einen Sektor Berlins. In Vilsbiburg beginnen die Amerikaner ihre Herrschaft mit der Verhaftung mehrerer früherer NS-Größen. Bei aller Gelassenheit und Konzilianz reagiert die Besatzungsmacht auf die braune Vergangenheit mit Entschiedenheit. Die Vorgänge rund um die Todesmärsche von KZ-Häftlingen werden penibel untersucht und sind noch heute im Nationalarchiv in Washington nachzulesen. Die Amerikaner befehlen ehemaligen NS-Funktionären, die sterblichen Überreste von mehr als 80 Gefangenen in den Wäldern rund um Vilsbiburg zu exhumieren und im hiesigen Friedhof zu bestatten. Für die gesamte Bevölkerung Teilnahmepflicht. Auch sonst bemühen sich die neuen Herren um die aktive Aufarbeitung der braunen Vergangenheit. In der Nummer 1 des am 23. Mai 1945 (selbstverständlich mit Genehmigung durch die Militärregierung) wieder erscheinenden Vilsbiburger Anzeiger wird die vollständige Vernichtung aller Hoheitszeichen und Hakenkreuzfahnen angeordnet. Gleichzeitig erfolgt die Tilgung der Namen von Hitler, Hindenburg, Hans Schemm und Ritter von Epp aus dem Verzeichnis der Straßen. Zwei Monate später beginnt die so genannte Entnazifizierung. Bis Ende 1949 füllen 6,78 Millionen bayerische Bürger einen Erhebungsbogen mit 131 Fragen aus, die von den Spruchkammern ausgewertet werden. Auch in Vilsbiburg tagt ein derartiges, aus sieben Mitgliedern bestehendes Gremien. Die Einstufung erfolgt in verschiedene Kategorien: vom Hauptbelasteten über den Mitläufer bis zum Entlasteten.

 

Für alles eine Genehmigung

 

Als erster Vilsbiburger Bürgermeister nach dem Krieg amtiert für kurze Zeit der städtische Inspektor Hans Kögl. Er wird allerdings nicht vom Volk gewählt, sondern von der Militärregierung eingesetzt und ist folglich auch deren Erfüllungsgehilfe. Nicht nur die Herausgabe einer Zeitung, auch die Eröffnung eines Geschäftes oder einer Bank, das Fahrradfahren und eine Theateraufführung von "Zar und Zimmermann": Alles bedarf einer Genehmigung. Auch die Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Ohne Erlaubnis dürfen sich die Vilsbiburger nur im Umkreis von sechs Kilometern um die Stadt aufhalten und das anfangs auch nur zu Fuß. Vor diesem Hintergrund mutet die Behandlung des Benedikt Auer durch das Military Gouvernement als sehr großzügig an. Im Juli 1945 erhält der Seifensieder Reisedokumente nach Mannheim, Heilbronn und Nürnberg zum Einkauf von "soap-maker-material". Offensichtlich wissen auch die US-Offiziere wohlriechende Produkte aus dem Hause Auer zu schätzen.

 

Doch langsam wird es eng in der kleinen Stadt. Wenige Wochen vorher sind bereits zahlreiche Heimatvertriebene eingetroffen, was die Einwohnerschaft schlagartig um ein Drittel anwachsen lässt. Und nun die fremden Soldaten, die sich nicht mit einer Dachkammer zufrieden geben, sondern möglichst bequem zu nächtigen wünschen. ??niemand war sicher, ob er in der kommenden Nacht in seinem Bett schlafen konnte?, schreibt Gottfried Hertle in seinen Erinnerungen. Einen ebenfalls empfindlichen Eingriff in die altbaierischen Gepflogenheiten erlauben sich die neuen Herren im August 1945, als sie den Vilsbiburger Brauereien das Biersieden verbieten. Lediglich für die amerikanischen Truppen darf noch gebraut werden. Vom Lebzelter Christoph Lechner verlangen sie in diesem Sommer für ihren Bedarf die Herstellung von Speiseeis. Die Zutaten dafür stellen die Besatzer zur Verfügung. Überhaupt sind die Amerikaner mit Lebensmitteln nicht kleinlich. Im Jahr 1947 wird auf Initiative des ehemaligen US-Präsidenten Herbert C. Hoover die Schulspeisung eingeführt – mit dem unvermeidlichen Löffel Lebertran. Bereits ein Jahr vorher treffen die ersten CARE-Pakete ein. Insgesamt lindern bis zum Jahr 1960 fast zehn Millionen derartiger Lebensmittelrationen die ärgste Not in Europa. Im Jahr 1963 bedankt sich die Deutsche Bundespost dafür mit einer offiziellen Sonderbriefmarke.

 

Die amerikanische Militärverwaltung wird in den folgenden Jahren Zug um Zug abgebaut und endet de facto mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949. Das Besatzungsstatut bleibt jedoch bis zu den Pariser Verträgen im Jahr 1955 in Kraft. Die vollständige Souveränität erhält Deutschland offiziell aber erst nach der Wiedervereinigung und dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 15. März 1991

 

Amerikanische Soldaten in der Oberen Stadt und die Kinder immer dabei. Denn die US-Boys waren mit Kaugummi und Süßigkeiten nicht knauserig.
Beim Unsinnigen Donnerstag 1960 können sich die Vilsbiburger schon wieder über die braune Vergangenheit lustig machen. Im Vordergrund Martin Süßl als ?Mitläufer?.
Offenbar ist es Benedikt Auer mit Genehmigung der Amerikaner gelungen, ausreichend ?soap-maker-material? zu beschaffen. Die erklärt den Andrang vor seinem Geschäft in der Oberen Stadt.
Bürgermeister Anton Feistle berichtet im September 1945 an die Militärregierung über die Zahl der ständigen Einwohner und der Flüchtlinge.