Der Anschluss an die große weite Welt

Im Jahr 1883 wird die Bahnstrecke Neumarkt-St. Veit – Landshut eröffnet

 

Vilsbiburg. Es ist eine beispiellose industrielle Revolution: Die bis dahin über Jahrhunderte einzig verfügbare Fortbewegungsart mit Pferd und Wagen wird in wenigen Jahrzehnten von einem vernetzten Verkehrsmittel abgelöst, das die Reisezeiten drastisch verkürzt. Die völlig andere Art des Fahrwegs aus Eisen gibt der Bahn ihren Namen und schafft gleichzeitig die Voraussetzungen für einen ungeahnten Aufschwung. Neue Transportmöglichkeiten ermöglichen einerseits den Aufbau einer Schwerindustrie, andererseits schafft der Bahnbau in kurzer Zeit eine gewaltige Nachfrage an Eisen, Stahl und Maschinen. Es beginnt sich ein wirtschaftliches Schwungrad zu drehen, das in dieser auch „Gründerzeit“ genannten Epoche nicht wenige Industrielle zu unverschämtem Reichtum, die untere Schicht des einfachen Volkes aber zu verschämter Armut führt.

 

Diese sozialen Verwerfungen sind in den ländlichen Regionen Niederbayerns nicht im vollen Umfang spürbar. Doch man erkennt auch hier die Zeichen der Zeit und will einen Zugang an das sich ausbreitende Eisenbahnnetz. Als bekannt wird, dass die Königliche Actiengesellschaft der Bayerischen Ostbahnen eine Strecke von Erding über das Vils- und Rottal nach Schärding plant, schließt sich die Marktgemeinde Vilsbiburg im Jahr 1863 einem Lobbyverein an, der dieses Projekt forcierten soll. Doch schnell stellt sich diese Linienführung als Illusion heraus. Bis zum nächsten Vorstoß gehen weitere 14 Jahre ins Land. 1874 wendet sich der Markt Vilsbiburg an die Kammer der Abgeordneten in München mit der Bitte, eine Bahnstrecke von Gangkofen über Vilsbiburg nach Landshut zu genehmigen. Doch auch dieser Vorschlag fällt auch wenig fruchtbaren Boden.

 

Das Kriegsministerium entscheidet

 

Schützenhilfe bekommen die Vilsbiburger ausgerechnet von den Militärs. Deren Überlegungen orientieren sich aber nicht an der Erschließung des Landes. Dem Königlichen Kriegsministerium schwebt vielmehr eine direkte Verbindung zwischen Freilassing über die Knoten Mühldorf, Neumarkt an der Rott und Landshut zur Festung Ingolstadt vor. Auch wenn das Teilstück nördlich der Isar nie verwirklicht wird, geht es nach diesem mächtigen Beistand auf einmal schnell. Am 1. Mai 1878 teilt das Bezirksamt der Gemeinde Vilsbiburg mit, die Planungen für die Bahnstrecke würden demnächst beginnen und es sei sicherzustellen, „dass die Projektierungsarbeiten in keiner Weise behindert werden dürfen“. Im Frühjahr 1880 legt die Generaldirektion der Königlich Bayerischen Staatsbahnen den Detailplan für den Streckenabschnitt von Landshut nach Neumarkt vor. Ein feierlicher Erster Spatenstich lässt sich in den Archivalien nicht nachweisen; wahrscheinlich findet er auch nie statt. Zunächst werden wohl die zahlreichen Hochbauten ausgeführt. Eine Ausschreibung für die Brücken über die Große und Kleine Vils findet sich im Amtsblatt des Bezirksamtes Vilsbiburg vom Juni 1881.  

 

Der Schienenstrang erreicht Vilsbiburg

 

Am 11. Juli 1883 meldet die örtliche Presse, die Bahnstrecke habe am Abend vorher mit der Schienenlage Vilsbiburg erreicht. Wie sehnlich der neue Verkehrsweg hier offenbar erwartet wird, zeigt die Tatsache, dass schon im September 1883, also vor der offiziellen Inbetriebnahme, die ersten Wagenladungen mit Kalk und Kohle für die Firma Franz Xaver Hardt eintreffen. Der Vilsbiburger Anzeiger“ begleitet den Bahnbau ohnehin mit großem Wohlwollen und führt weiter aus: „Schon die günstige Lage des Bahnhofs in nächster Nähe dieses lebhaften und gewerbsamen Marktes ist dazu angetan, Handel und Gewerbsthätigkeit zu sichern und zu vermehren, sowie andererseits von Seite der Gewerbetreibenden gewiß Alles aufgeboten wird, die Kunden und Besucher Vilsbiburgs in jeder Weise auf’s Best zu befriedigen.“

 

Am 4. Oktober 1883 wird die Eröffnung der Bahnstrecke mit dem üblichen Pathos, vielen Ehrengästen und einen Extrazug begangen. Ab dem 15. Oktober tritt dann der erste reguläre Fahrplan in Kraft, der pro Tag drei Zugpaare zwischen Neumarkt an der Rott und Landshut vorsieht. Von Vilsbiburg kann man um 5.34 Uhr, 10.00 Uhr und 5.01 Uhr nachmittags nach Landshut reisen; um 7.00 Uhr, 2.25 Uhr nachmittags und 6.16 Uhr abends fahren Züge zurück. Nachdem die neue Schienenverbindung als Sekundärbahn eingestuft und auf eine Geschwindigkeit von 30 km/h beschränkt ist, dauert die Reise von der Isar an die Vils eine Stunde und 20 Minuten. Ein Aushang weist jedoch ausdrücklich darauf hin: „Bei Sturmwind verkehren keine Züge!“

 

In den nächsten 130 Jahren erlebt die Strecke eine wechselvolle Entwicklung. Vielleicht wird sie sogar einmal zweigleisig und elektrifiziert zum Teil einer Magistrale von den Ostseehäfen zum Mittelmeer. Derartiges ist jedenfalls in einer Randnotiz zum Bundesverkehrswegeplan als Möglichkeit angedacht. Es kann aber auch sein, dass diese Vision ebenso wie jene einer Militärbahn von Ingolstadt nach Freilassing endet.

Bis in die 1970er Jahren werden die meisten Züge von Dampflokomotiven gezogen. Hier die Einfahrt einer Eilzuglok der Baureihe 38 beim Schrankenposten an der Landshuter Straße
Das Foto aus dem Jahr 1882 zeigt den Neubau der Station Vilsbiburg. Rechts im Hintergrund die bereits fertiggestellte Bahnhofs-Restauration.
Die Belegschaft des Bahnhofs Vilsbiburg in der Zeit um 1900. In dem niedrigen Anbau rechts ist das Postamt Vilsbiburg 2 untergebracht. (Fotos: Archiv Heimatmuseum Vilsbiburg)