Eine gute Stunde lebendige Geschichte

Eine Stunde lebendige Geschichte

Spaziergänge haben jeweils verschiedene Themenschwerpunkte. Dieses Mal ging es um die größeren und kleineren Veränderungen in der Stadt im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte.

Pünktlich um 14.30 Uhr am 2. August 2020 und trotz des gerade einsetzenden Regens versammeln sich an der Nepomukfigur an der Vilsbrücke  15 Interessierte – natürlich in gebührendem Abstand – um sich von Rudolf Stadlöder, einem Aktiven im Heimatverein Vilsbiburg, die Veränderungen des Orts  im Verlauf der Geschichte näher erläutern zu lassen.
Einige der wesentlichen Daten kennt der eine oder andere vielleicht noch aus Schulzeiten:
Die erste urkundlich nachweisbare Erwähnung des Orts 1231/1234 in einem „Herzogsurbar“, einer Liste, was dem Herzog gehört und was der Ort „pipurch“ an der Vils dem Herzog abzuliefern hat, die erste Erwähnung 1301 als „stat“ oder der große Stadtbrandt 1366, der mehr als die Hälfte der Stadt in Schutt und Asche legte.
Stadlöder vermag es aber, diese „dürren“ Daten mit Leben zu füllen. Er zeigt, wie und wo sich geschichtliche Ereignisse und Entwicklungen im Stadtbild, in der Architektur und im Alltag der Menschen niedergeschlagen haben.

Geschichte wird lebendig

Die Anlage der Stadt der Stadt mit einer umgebenden Stadtmauer lässt sich noch heute gut erkennen. Teile der alten Mauer finden sich zum Beispiel im Stammlerhof oder am Spitalgarten. Es gibt keine nennenswerten Zugänge zu den Häusern im Stadtkern von hinten, da stand die Mauer, Eingang in die Stadt fand man nur über die zwei bewachten Stadttore. Zwei Tore?
Das untere Tor an der Vils fiel der Stadtentwicklung, dem wachsenden Verkehr und dem Wunsch nach Modernisierung zum Opfer. 1903 wurde das alte Tor mit samt dem alten Rathaus abgerissen und eine neue, moderne Eisen-/Stahl -Brücke an dieser Stelle gebaut. Das veränderte das Stadtbild, wie es seit dem Mittelalter entstanden war, erheblich. Zwar gab es Stimmen, die wieder einen baulichen Abschluss zur Vils hin forderten, die Mehrheit der Stadtbürger aber sprach sich für die neue, moderne „Vilsfreiheit“ aus: Ein Stadtplatz, der sich zur Unteren Stadt und zur Vils hin öffnet, erschien vielen Bürgern den neuen Zeiten angemessener als die alte, historische Anlage – und billiger als ein abschließender Neubau war es zudem. Und so stellt sich uns heute die Stadt vor : Dem Alten noch verpflichtet, doch dem Neuen durchaus offen. Man mag es aus heutiger Sicht bedauern, dass die alte mittelalterliche Anlage aufgelöst wurde, doch die Stadt hatte sich gerade seit dem 19. Jahrhundert wirtschaftlich entwickelt, die Anforderungen an Straßen und anderer moderner Infrastruktur hatten sich verändert — und auch der Geschmack hatte sich gewandelt. Gut ablesen lässt sich dies an verschiedenen Häusern am und um den Stadtplatz.

Architektur zeigt Geschichte

Stadlöder führt die Gruppe über den Stadtplatz , zu vielen Gebäuden weiß er etwas zu erzählen, die ein oder andere Anekdote tragen auch die Besucher bei, denn nicht wenige sind „alte“ Vilsbiburger und erinnern sich beispielsweise noch  an das kleine „Kaufhaus Hufnagl“. „Mei, war das nicht da, wo der „Mertel“ heut ist?! Na, der Hufnagl war doch ursprünglich da vorn beim Rathaus!“ …
Auch bemerkenswert: Die Hausnummer 28, das Haslbeck-Gebäude, ein ehemaliges Gasthaus mit Brauerei. Anhand alter Aufnahmen und Zeichnungen können die TeilnehmerInnen anschaulich erkennen, welchem Stilwandel dieses Gebäude ausgesetzt war. Der Geschmack der jeweiligen Besitzer, aber auch die unterschiedlichen Nutzungen als Gaststätte, Wohnhaus oder Geschäft zeigen sich in der wechselnden Fassade und Fenstergestaltung.

Sehr deutlich wird dies auch am Haus Stadtplatz 33, dem „Urbanhof“. Vor allem August Urban, der Posthalter und vermögende Brauereibesitzer, veränderte den traditionsreichen Brauereigasthof. Er installierte hier  Ende des 19.Jahrhunderts die erste funktionierende Wasserleitung für seine Brauerei und baute in sein Wohnhaus zudem das erste Wasserklosett im ganzen Umkreis ein. Überhaupt die Gaststätten und Brauereien: 14 davon gab es zeitweise in Vilsbiburg, und einige von ihnen zeugen noch heute durch ihre imposanten Gebäude von der ehemaligen Bedeutung.
Dass nicht alle schönen Ensembles erhalten geblieben sind, zeigt Rudi Stadlöder mit Fotos von den Stammler-Arkaden, wunderbare hölzerne Umgänge und Balkone, die in den 1960er Jahren abgerissen und durch wenig interessante Bauten ersetzt wurden. Heute, so ist zu hoffen, würde man mit der Geschichte vielleicht etwas sorgsamer umgehen.

Die meisten Häuser am Stadtplatz entstanden in ihrer jetzigen Form gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es war eine Zeit des wirtschaftlichen und technischen Aufbruchs. Angeregt durch die Reichseinigung sowie die französischen Reparationen nach dem Krieg 1870/71, der technische Fortschritt  und der Ausbau der Eisenbahn profitierten auch Landstädte, wie Vilsbiburg von der neuen Zeit. 1883 wurde die Stadt an die Eisenbahn angeschlossen, 1929 schließlich erhielt der Ort wieder das Stadtrecht, das dieser 1367, nach dem verheerenden Brand, verloren hatte.
Der Umzug der Post ins Haus Nr.29, die Umwidmung der ehemaligen Winkler`schen Wirtshäuser 1923 zur Sparkasse, die Entwicklung des Hauses Nr. 30, vom Steinbräu über das bayrische Rentamt zur heutigen VHS … Die sehr interessierten BesucherInnen ließen sich auch vom Regen nicht abhalten und fragten, ergänzten oder diskutierten. So wurde aus der geplanten Stunde im wahrsten Sinn eine „gute Stunde“ lebendige Lokalgeschichte.