Siegeszug der Maria Hilf-Verehrung

Nur mit Lourdes und Fatima vergleichbar – Gründe für die Dynamik in der katholischen Welt  
Der Passauer Domdekan und Bischofsadministrator Marquard von Schwendi, kann die Einweihung der von ihm mit viel Engagement geförderten Maria Hilf-Kirche auf dem Schulerberg oberhalb der Dreiflüssestadt im Jahr 1627 noch mitfeiern. Bevor er sieben Jahre später stirbt, erlebt er auch noch, wie der Strom der Wallfahrer in geradezu unglaublicher Weise anschwillt. Gleichzeit wächst die Verehrung des auf Lucas Cranach d. Ä. zurückgehenden Gnadenbildes über Passau hinaus in atemberaubender Weise in eine europaweite Dimension hinein. Die fromme Herzensangelegenheit eines Domherrn aus der Provinz entwickelt sich innerhalb von zwei bis drei Generationen zu einem Anliegen des gesamten katholischen Abendlandes. Eine vergleichbare Dynamik im Bereich des Wallfahrtswesens ist in späteren Jahrhunderten nur im Zusammenhang mit Lourdes und Fatima zu beobachten.

Die Hintergründe der Durchschlagskraft der Maria Hilf-Verehrung verlangen nach einer Erklärung. Sie fällt in eine Phase, in der sich die Marienverehrung ganz allgemein in eine bislang ungekannten Intensität steigert. Begünstigt wird dies durch den Zeitgeist der Gegenreformation. Die Seelsorger dieser Epoche betonen mehr und mehr die von Martin Luthers Reformation überwunden geglaubte altkirchliche Frömmigkeit. Unabhängig davon hat sich bereits im 15. und 16. Jahrhundert die Verehrung von  Gnadenbildern gegen den vorher herrschenden Reliqienkult durchgesetzt. Erst damit ist die Voraussetzung für marianische Gnadenstätten geschaffen.
Die Kapuziner als Sachwalter
 Zu den entschiedensten Verfechtern des neuen Frömmigkeitsstils gehören die damals neuen Orden, allen voran die Jesuiten und die Kapuziner. Insbesondere die letztere Kongregation, die auch lange Zeit in Vilsbiburg wirkt, ist für die anschwellende Maria Hilf-Verehrung von größter Bedeutung. Freiherr von Schwendi holt diesen Orden im Jahr 1614 gegen mancherlei Widerstände nach Passau und überträgt ihm die seelsorgerliche Betreuung der noch jungen Wallfahrt. Von dort aus übernehmen auch die umliegenden Kapuzinerklöster in Bayern und Österreich das Gnadenbild und reichen es weiter zu allen kapuzinischen Niederlassungen. Nicht zuletzt durch die Förderung von Kurfürst  Maximilian I. von Bayern und der Kaisergattin Anna von Österreich gelingt es den Kapuzinern im Lauf des 17. Jahrhunderts, eine große Zahl neuer Klöster zu gründen. Synchron mit dem Aufblühen des Ordens verbreitet sich der Maria Hilf-Kult in den süddeutschen und  österreichischen Landen.

Weitere Faktoren kommen hinzu, um die rasche Aufnahme des neuen Marienbildes in den katholischen Bevölkerungskreisen zu begünstigen. Das 17. Jahrhundert muss als eine besonders barbarische Zeit bezeichnet werden. Mehr als 20 bewaffnete Auseinandersetzungen plagen insbesondere die unbeteiligte Zivilbevölkerung diesen Jahren in Europa. Trauriger Höhepunkt ist der Dreißigjährige Krieg, der in den Jahren von 1618 – 1648 ganz Landstriche verwüstet und entvölkert. Kaum bringt der Westfälische Friede eine kurze Atempause, droht in den frühen 1670er Jahren durch den Vormarsch der Osmanen aus Südosten neue Gefahr. In die legendären Schlacht am Kahlenberg vor Wien ziehen sich die kaiserlichen Truppen im Jahr 1683 mit dem Stoßgebet „Maria hilf“.
Immer dann, wenn die Menschen aus den vertrauten Bahnen ihres Alltages hinausgeworfen werden, sind sie geneigt, ihre Hilfsbedürftigkeit höheren Mächten anzuvertrauen. Das Auftauchen des Passauer Gnadenbildes fällt in eine Zeit, in der ein großer Teil der Bevölkerung ganz real um ihren Besitz, Leib und Leben fürchten muss. „Schlechte Zeiten für die Menschen sind gute Zeiten für die Wallfahrtsorte“, lautet ein geflügeltes Wort und so bilden sich innerhalb kurzer Zeit mehr als 500 Pilgerstätten, an denen das auf Lucas Cranach zurückgehende Gnadenbild größte Verehrung erfährt.

Mit dem Schlachtruf „Maria hilf“ vertreiben am 12. September 1683 am Kahlenberg bei Wien Truppen aus Polen, Sachsen, Bayern und Österreich die osmanischen Belagerer. (Bild: Wikimedia)
Einer der populärsten Kapuziner in Vilsbiburg war Pater Olaf Becht, hier in seinem letzten Lebensjahr. (Foto: Archiv Heimatmuseum Vilsbiburg)