Er drehte nie das ganz große Rad

Der Wagner war früher unentbehrlich und führt heute eher ein Nischendasein

Vilsbiburg. Dieser alte Beruf firmiert regional unter verschiedenen Namen: Im nördlichen Deutschland nennt man ihn Stellmacher, in eher südlichen Gefilden Wagner. Regional unterschiedlich trifft man bei gleicher Tätigkeit auch auf Handwerker, die sich als Rad- oder Achsmacher bezeichnen. Hinter all diesen Begriffen verbirgt sich ein Holztechniker, der seit Erfindung des Rades im vierten Jahrtausend vor Christus, besonders aber im Mittelalter und in der frühen Neuzeit aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken war. Der Wagner fertigte zu einer Zeit, da Dampfmaschinen noch nicht erfunden und Carl Benz sowie Rudolf Diesel noch längst nicht geboren waren, sämtliche Vehikel für die Güter- und Personenbeförderung. Seine Werkstatt verließen sowohl der einfach Handkarren wie auch die repräsentative Kutsche, daneben schuf er Schlitten, Pflüge, Eggen, Rechen, Heugabeln, Leitern, Eisstöcke und vieles andere Produkte aus Holz.

Den Rohstoff dafür musste der Handwerker sorgfältig auswählen. Für die unterschiedlichen Verwendungen benötige er Holz von Ulmen, Linden, Kiefern, Weiden, Fichten, Buchen, Birken, Eschen oder auch Eichen. Die vielseitige Holzverarbeitung verlangte viel Erfahrung und Kenntnis der unterschiedlichen Eigenschaften. Auch der Standort der Bäume war ein entscheidender Faktor. Für die Biegung von Rodelkufen benötigte er beispielsweise ein astfreies, zähes Holz. Natürlich war der Wagner auch für die Reparatur der unterschiedlichen Fahrzeuge zuständig, die auf den schlechten Straßen schnell schadhaft wurden.

Im alten Vilsbiburg, als Zwischenstation an der Durchgangsstraße von Landshut nach Burghausen gelegen, hatten mehrere Wagner ihr Auskommen. Älteren Bürgern sind noch die Wagnerei von Anton Bittl am Anfang der Kirchstraße (heute Frontenhausener Straße) und jene des Lorenz Rasthofer in der Unteren Stadt ein Begriff. Dabei fällt auf, dass diese Holz verarbeitenden Werkstätten fast immer eine Symbiose mit einem in der Nähe arbeitenden Schmied eingegangen sind. Im Oberen Vormarkt war der Aigner-Schmied direkter Nachbar von Bittl, jenseits der Vils befand sich die Schmiede von Michael Bach gleich gegenüber der Wagnerei Rasthofer. Dies war auch sinnvoll, nachdem die beiden Handwerker beispielsweise beim Aufziehen der Reifen auf das fast fertige Wagenrad eng zusammenarbeiten mussten.

Wenn auch manche der alten Handwerke heute nur noch ein Nischendasein führen oder gänzlich ausgestorben sind, haben sich viele Begriffe aus der Arbeitswelt in der Alltagssprache erhalten. Man denke nur an das angenehme Ereignis wenn dem Gerber die Felle davon schwimmen. In gleicher Weise lebt auch der Beruf des Wagners in verschiedenen Redewendungen weiter. Wer sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlt, ist überflüssig und ohne Funktion. Man hört aber auch häufig, dass junge, dynamische Geschäftsleute das ganz große Rad drehen wollen und dabei auf dem glatten Börsenparkett gehörig ausrutschen. Wenn dann den Spekulanten anschließend die Steuerfahndung attackiert, wird er sich beklagen, dass ihm diese ?an den Wagen gefahren? sei. Für die Handwerker in Vilsbiburg traf dies jedoch nie zu; denn sie waren stets bescheidene und sehr solide Vertreter ihrer Zunft.

Ein kaum noch bekanntes Werkzeug des Wagners ist der sogenannte Wagnerbock. Hier sieht man recht schön einen Arbeitsgang bei dem der Handwerker ein in seinen Wagnerbock eingespanntes Werkstück mit dem Ziehmesser bearbeitet. Eine aufmerksame Museumsbesucherin hat dem Heimatverein das Foto vom Gruber-Wagner in Kraiburg überlassen.
Ein Wagnerbock aus dem Jahr 1801 ist im Heimatmuseum Vilsbiburg zu sehen.