Der Wachszieher im Spiegel der Gesellschaft

 

Die Sonderausstellung ??viel köstlich Wachsgebild? gab viele Einblicke in längst vergangenen Bürokratismus

 

In erster Linie ist die Bekanntheit der Vilsbiburger Lebzelter und Wachszieher in der Unteren Stadt mit dem Namen die Familie Lechner verbunden. Sie baute den Betrieb zu einem der bedeutendsten in ganz Deutschland in seiner Branche aus. Geholfen hat hierbei zweifellos das Aufblühen der Wallfahrt Maria Hilf auf dem Berg. Die Gründung des italienischen Rauchfangkehrer Donatus Barnabas Orelli löste nicht nur einen beachtlichen Zustrom von Wallfahrern aus, sie zog auch eine rege Nachfrage nach Votivgaben aller Art nach sich. So konnten die Lebzelter und Wachszieher in Vilsbiburg durchaus in einem gewissen Wohlstand leben, der sich jedoch im Vergleich zu heutigen Lebensentwürfen eher bescheiden ausnimmt.

 

Lange Tradition der Lebzelter

 

Aber schon einige Jahrzehnte bevor Orelli auf dem ?Monte? südlich von Vilsbiburg die ersten Kreuze aufstellte, florierten die Geschäfte der Wachszieher im Unteren Vormarkt. Nicht nur, wie heute für feierliche Anlässe, sondern alltäglich benötigten die Menschen Kerzen, wollen sie nach Einbruch der Dunkelheit noch irgendetwas zu sehen. Schon allein dieser Aspekt macht die gewaltigen Unterschiede zwischen dem Leben vor einigen hundert Jahren und den heutigen Gewohnheiten aus. Der moderne Mensch braucht sich nur einmal kurz vor Augen zu führen, auf welche Annehmlichkeiten er verzichten müsste, gäbe es keine elektrische Energie. Mit derartigen Zukunftsvisionen konnte sich Rudolf Sperl am Ausgang des Dreißigjährigen Krieges aber nicht abgeben. Er, der erste in Vilsbiburg nachgewiesene Lebzelter und Wachszieher hatte sich vielmehr mit den Brand- und Plünderungsschäden herumzuplagen, welche die Bürgerschaft von Vilsbiburg von 1632 bis zum Kriegsende 1648 schwer belasteten. Sperl bezifferte seine Verluste auf mindestens 400 Gulden, was sich nach heutiger Kaufkraft auf einen Betrag von rund 20.000 Euro summieren würde. Einen Rettungsschirm für derartige Ausfälle gab es damals natürlich nicht.

 

Strenge Reglementierungen

 

Wir wissen nicht, ob Rudolf Sperl nur ein Jahr später aus Gram über die kaum verkraftbaren Kriegsschäden oder aus einem anderen Grund verstorben ist. Jedenfalls heiratete seine Witwe Barbara im Jahr 1650 den aus Erding zugewanderten Johann Friedrich Pfanzelter. Aus diesem Vorgang kann der moderne Mensch, der sich immer so schnell über Bürokratismus und Regelungswut beklagt, interessante Schlüsse ziehen. Zunächst konnte man in der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht einfach nach Vilsbiburg kommen, sich geeignete Räume mieten und einen Betrieb eröffnen. Da es einen sehr strengen Bestandsschutz für bestehende Unternehmen gab, musste sich der Bewerber einen verwaisten Betrieb suchen und in diesen einheiraten. Dass dabei die persönlichen Sympathien gegenüber der Witwe von untergeordneter Bedeutung waren, muss angenommen werden. Erst wenn sein finanzielles Auskommen so gesichert war, war für den zuzugswilligen Bewerber daran zu denken, mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag beim Markt Vilsbiburg auf Einbürgerung zu stellen. Wie wir aus einem derartigen Vorgang rund 100 Jahre später wissen, wurden aber noch weitere Hürden aufgerichtet. Joseph Fromberger gelernter Lebzelter musste sich beispielsweise von seiner Heimatstadt Straubing die eheliche Geburt bestätigen lassen um im Jahr 1744 Maria Anna, Tochter des Wachsziehers Christoph Stanislaus Kirchberger heiraten zu können.

 

Die Kraft der Votivgaben

 

Auch heute im Zeitalter der umfassenden Gesundheitsversorgung ist keine Krankheit angenehm; aber man findet doch in allen zentralen Orten Ärzte der verschiedenen Fachrichtungen und weiteres medizinisches Personal. In der Barockzeit gab es auch in größeren Orten allenfalls eine Hebamme, einen Bader oder irgendeinen Kurpfuscher. Selbst das Vilsbiburger Krankenhaus wurde erst im Jahr 1831 von dem Lederer Simon Janschütz gestiftet. Weil aber auch vorher wurden die Menschen von Leiden und Gebrechen heimgesucht wurden, blieb ihnen also nichts anderes übrig als in diesem Fall auf die Hilfe höherer Mächte zu vertrauen. So entwickelte sich ein umfangreiches Wallfahrtsbrauchtum, zu dem auch die so genannten Votivgaben gehörten. Bei Lechner und seinen Vorgängern konnte man alle nur denkbaren in Wachs gegossene Organe und Körperteile erwerben, die dann auf Maria Hilf der Gottesmutter dargebracht wurden. Hans Hipp, der Wachszieher aus Pfaffenhofen an der Ilm hat deren Wirkung bei der Ausstellungseröffnung im vergangenen Sommer sehr plastisch geschildert. Durch den festen Glauben an die Kraft der Gebete bei der Übergabe der Votive sei eine Art Placeboeffekt eingetreten, der nicht nur positive Veränderungen des subjektiven Befindens, sondern auch objektiv messbare Verbesserungen der körperlichen Funktionen ausgelöst hätten.

 

Bilanz Vilsbiburger Handwerkerlebens

 

Gewiss waren die Wachszieher angesehene Mitglieder der Vilsbiburger Bürgerschaft. Christoph Lechner (I) war Inhaber zahlreicher Ehrenämter im gesellschaftlichen Leben Vilsbiburg, so auch über 23 Jahre hinweg Leiter des Heimatmuseums.  Dank eines gewissen Konkurrenzschutzes konnten die Handwerker sogar als relativ wohlhabend gelten. Wie jedoch die Bilanz eines viele Jahre währenden Handwerkerlebens im Detail aussah, offenbart sich exemplarisch an dem Nachlassverzeichnis des im Jahr 1744 verstorbenen Christoph Stanislaus Kirchberger. Dieses wird in der die Ausstellung begleitenden Museumsschrift exemplarisch untersucht und es ist interessant, was der Handwerksmeister bei seinem Ableben besaß ? vor allem auch, was er nicht besaß. Auch die Tatsache, dass es die Vilsbiburger Wachszieherei seit dem Jahr 1936 nicht mehr gibt, ja dass auch sonst kaum mehr ein vergleichbarer Betrieb vorhanden ist wirft ein Licht auf die Entwicklung unserer Gesellschaft.

Die Aufnahme aus dem Jahr 1915 zeigt Christoph Lechner beim Legen eines Wachsstockes, daneben bemalt sein gleichnamiger Sohn eine Wachstafel.
Ein besonderer Wachsstock in Buchform, wie er gerne am Fest Mariä Lichtmess am 2. Februar verschenkt wurde. (Fotos: Archiv Heimatmuseum Vilsbiburg